Görlitzer Park: »Wir wollen nicht, dass jemand stirbt«
Ein mutmaßlich Betroffener berichtet von gefährlichen Polizeimanövern in Kreuzberg
Jule Meier 06.01.2025, 16:57 Uhr
Emma* hat Angst. Er hat Angst, dass er oder seine Freunde von der Polizei überfahren oder angegriffen werden. Und er hat Angst, mit der Presse zu sprechen und deshalb Probleme zu bekommen. Doch Emmas Geschichte ist zu wichtig, wie er im Gespräch mit »nd« sagt, um sie nicht mit der Öffentlichkeit zu teilen.
»Wenn sie so weitermachen, wird etwas passieren. Entweder sie töten einen Dealer oder jemand anderes«, erzählt Emma. Er berichtet von zwei Polizeibeamten, die im Dezember mehrmals nachts mit ihrem Streifenwagen durch den Görlitzer Park im Berliner Ortsteil Kreuzberg gefahren sein sollen. Ohne Licht, ohne Sirene, mit bis zu 70 Stundenkilometern.
Emma spricht im Namen von bis zu fünfzig Menschen, die nachts im Görli sind und die allesamt die gleichen Hetzjagden derselben zwei Beamten erlebt haben sollen. Was sie eint: Viele verkaufen Drogen, alle sind schwarz und fast alle haben keinen Aufenthaltstitel. Was sie darüber hinaus eint, ist ihr Zusammenhalt: »Wenn jemand im Park bestohlen oder angegriffen wird, schreiten wir ein und helfen«, sagt Emma und spricht wiederholt von der »Gemeinschaft« des Görlitzer Parks.
Ein besonderes Gemeinschaftsgefühl haben Emma und seine Freunde auch am 24. und 25. Dezember 2024 erlebt: »Wir saßen im Park und fühlten uns wohl«, sagt Emma. Denn es war Weihnachten und »alle genießen das«, ergänzt er. Doch plötzlich passierte das, was auch in den Wochen zuvor, circa zweimal wöchentlich geschah: »Das Auto kommt von der Straße, man sieht kein Licht. Es passiert nur im Dunkeln, dort, wo alle Lichter aus sind. Wenn sie dich sehen und du anfängst zu rennen, beschleunigen sie«, sagt Emma.
Auf weiße Menschen reagierten die Polizeibeamten, die jene Hetzjagden veranstalten sollen, anders, sagt Emma: »Sie fahren an ihnen vorbei.« Emma versteht nicht, warum die Beamten nachts ohne Licht durch den Park rasen. »Wenn du ins Gefängnis kommst, kommst du mit einem Leben zurück. Wenn du von diesem Auto erwischt wirst, kann es dich das Leben kosten.«
Emma hat Angst, dass die Polizei bei einer womöglichen Jagd auf ihn selbst jemand anderen umbringen könnte. Im Görlitzer Park seien nachts nicht nur Drogendealer unterwegs, sondern auch Leute, die durch den Park laufen. Dazu gehörten Kinder, alte, gehörlose und betrunkene Menschen. »Wir wollen nicht, dass jemand stirbt.«
»Es ist nicht sicher für uns, aber es ist auch nicht sicher für die Gemeinschaft«, sagt Emma. »Ob es der Polizei gefällt oder nicht – wir sind Teil der Gemeinschaft des Parks.« Dass seit dem 26. Dezember keine Hetzjagden mehr stattfanden, führt Emma auf die öffentliche Berichterstattung zu den Vorwürfen gegenüber der Polizei zurück.
Polizeikontrollen erwarten Emma und seine Freunde dennoch tagtäglich. »Auch wenn du einfach nur dasitzt und nichts tust, kommen sie und kontrollieren dich.« Deshalb habe Emma immer Angst vor der Polizei. »Wenn sie dich festnehmen und irgendwo Drogen finden, selbst wenn es nicht deine sind, nehmen sie dich mit. Du bist allein und du hast keine Zeugen. Deshalb rennen wir. Ich sehe viele Menschen, die im Gefängnis landen, für Drogen, die nicht ihnen gehören.«
Das Klima im Görlitzer Park hat sich Emmas Einschätzung nach im Laufe der vergangenen ein bis zwei Jahre verschärft. »Streifenwagen kommen öfter und aus verschiedenen Richtungen. Man kriegt Paranoia.« Manchmal provozierten Beamte Emma und seine Freunde. »Wenn du reagierst, wird es schlimmer«, sagt er. Einer seiner Freunde sei mit Pfefferspray besprüht und geschlagen worden. Im Dezember sei dies insgesamt zwei oder drei Menschen passiert. Die Beamten seien jedoch nicht dieselben gewesen, die die nächtlichen Hetzjagden mit dem Streifenwagen ohne Licht durchgeführt haben sollen.
Was braucht Emma, um sich zu schützen? »Dass die Polizei ihren Job macht, wie sie soll. Aber nicht nachts im Auto ohne Licht und in voller Geschwindigkeit rasen.« Viele aus seiner Gemeinschaft würden von dem Stress verrückt werden und konsumierten nun selbst Drogen. Dabei seien die meisten bereits traumatisiert: Geflüchtete aus Marokko oder Libyen. »Ich habe Menschen sterben sehen«, sagt Emma. Die Parkgemeinschaft helfe ihm und seinen Freunden zu leben. »Der Park ist unser Zuhause. Hier können wir nach Hilfe fragen.«
Emma wünscht sich, dass die Leute verstehen, dass er und seine Freunde nicht in dieser Situation sein wollen. »Du musst irgendwie überleben. Du hast keine Dokumente, keine Wohnung, kein Essen. Du machst alles Mögliche, um zu überleben«, sagt er. »Wir sind Menschen, keine Kriminellen. Wir sind Menschen mit Ambitionen.« Er und seine Freunde wünschen sich ein gutes Leben als Teil der Gesellschaft.
Von den Plänen des schwarz-roten Senats, den Görlitzer Park zu umzäunen, hält Emma nicht allzu viel. »Es wird dann einfacher für die Polizei, zu kontrollieren. Aber das wird die Leute nicht davon abhalten, in den Park zu kommen«, sagt er. Dafür fühlten sich die Menschen zu stark verbunden mit dem Görli. »Ich kenne so viele Leute, die in diesem Park leben. Sie verkaufen keine Drogen, sie arbeiten, sie haben Papiere. Sogar sie bekommen Probleme mit der Polizei, nur weil sie im Park sitzen.«
Die Pressestelle der Berliner Polizei antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf eine nd-Anfrage zu den Vorwürfen.
*Name von der Redaktion geändert. Gespräch auf Englisch geführt und von der Redaktion ins Deutsche übersetzt.
passiert am 04.01.2025